Balkonlektüre – Teil 14

Es gibt so Bücher im Wohnzimmer, die werden im Laufe des Lebens immer mal wieder aus dem Regal gezogen und regelrecht verschlungen. Nicht etwa, weil sie besonders spannend oder aktuell sind, sondern weil sie gebraucht werden. Bücher, die einfach ein gutes Gefühl geben. Bei Charlotte Tappmeier steht ein genau solches Buch im Regal: »Gut gegen Nordwind« von Daniel Glattauer.

Liebesgeschichten beginnen in der Regel mit einem Blickkontakt, einem Gespräch, einem Lachen oder einem Zuzwinkern. In Glattauers Roman »Gut gegen Nordwind« beginnt die Liebesgeschichte allerdings mit einem Tippfehler. Einfach und doch originell.

Emmi Rothner möchte per E-Mail ein Abonnement der Zeitschrift »Like« kündigen, landet aber durch einen Tippfehler immer wieder bei dem sympathischen Leo Leike, der so gar nichts mit der Zeitschrift zu tun hat. »Sie sind bei mir falsch«, korrigiert Leo die für ihn unbekannte Dame, die immer wieder in seinem Postfach landet. Doch die versehentlich falsch adressierte E-Mail entpuppt sich im Laufe des Romans zu einem Kennenlernen der ganz besonderen Art und Weise: Die Wiederkehr des kultivierten Briefromans – nur diesmal findet das Schreiben ausschließlich im digitalen Raum statt. Der Brief wird nicht von einem Boten gebracht, sondern das »Pling« des E-Mail-Postfachs macht auf eine neue Nachricht aufmerksam.

»Pling, pling, pling« – Emmi und Leo befinden sich schnell auf einem schmalen Grat zwischen Fremdheit und Intimität und kommen sich mit jeder E-Mail näher.

Ich, als Leserin, darf den beiden Schreibenden gewissermaßen über die Schulter schauen. Der Roman, der von Anfang bis Ende ausschließlich aus E-Mails besteht, schafft es, ohne Erzähler*in, eine tatsächliche Nähe zwischen Leser*in und Figuren herzustellen. Eine Nähe, so fällt mir rückblickend auf, die mir bei manch anderen Romanen, fehlt. Emmi und Leo erhalten von E-Mail zu E-Mail eine echte Individualität: Emmi trinkt gerne Rotwein und Whiskey. Sie ist verheiratet mit einem Witwer, der zwei Kinder in die Ehe mitgebracht hat. Der Sprachwissenschaftler Leo laboriert an einer gescheiterten, doch längst nicht verarbeiteten, Beziehung. Er trinkt gerne Weißwein.   

»Pling, pling, pling« – Emmi und Leo stehen im Laufe des Romans vor der entscheidenden Frage, ob die Gefühle, die sie füreinander entwickeln, einer wahrhaften Begegnung standhalten können?

»Emmi, Sie sind irgendwer. Wenn irgendwer nicht irgendwer ist, dann sind es Sie. Schon gar nicht für mich. Sie sind wie eine zweite Stimme in mir, die mich durch den Alltag begleitet. Sie haben aus meinem inneren Monolog einen Dialog gemacht. Sie bereichern mein Innenleben.«

Zwischen Emmi und Leo entsteht eine Intimität, die nur durch die Offenheit und durch die absolute Distanz, die das Internet schafft, überleben kann, so entsteht zumindest der Eindruck. Bereits ein Telefonat wird zu einer kaum vorstellbaren Grenzüberschreitung. Eine Liebesgeschichte, die zum Scheitern verurteilt ist oder tatsächlich die Abzweigung »Romantik« nehmen kann? In keiner E-Mail habe ich, als Leserin, eine eindeutige Antwort darauf finden können.

Dabei habe ich den Roman von Glattauer so oft gelesen. So oft hat er mir ein gutes Gefühl gegeben. So oft habe ich ein Glas Rotwein mit Emmi und Leo getrunken. Und so oft habe ich bei einem »Pling« in meinem eigenen E-Mail-Postfach an die beiden denken müssen. Vielleicht wird es mal wieder Zeit den Roman aus meinem Bücherregal zu nehmen und erneut zu lesen.

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