»Das Vogelhaus« ist Charlotte Tappmeier eigentlich mehr oder weniger zufällig in die Hände geraten. Ein beabsichtigter Kauf war es jedenfalls nicht. Der Roman von Eva Meijer umfasst, um es einmal ganz grob zu benennen, die Themen Streichinstrumente und Vögel – mit keinem dieser beiden Themen ist Charlotte Tappmeier besonders vertraut, offensichtlich nicht einmal soweit daran interessiert, dass ein bewusster Bücherkauf überhaupt infrage gekommen wäre. Aber wie das Leben manchmal so spielt. Denn nun ist »Das Vogelhaus« für Charlotte Tappmeier ein Ausflug ins Schöne, ein Ausflug zum Durchatmen, ein Ausflug in eine entschleunigte Faszination. Aber der Reihe nach.
Die Autorin Eva Meijer widmet »Das Vogelhaus« der britischen Naturforscherin und Musikerin Gwendolen »Len« Howard. Im Roman wird das Leben dieser »zu Unrecht vergessenen Vogelkundlerin« erzählt, welches die Autorin geschickt und liebevoll in eine fiktive Welt einbettet.
Len wächst in einem – jedenfalls auf den ersten Blick – wohlbehüteten Elternhaus auf, ihre Mutter veranstaltet gerne Musik- und Poesienachmittage im Hause Howard und wünscht sich, dass ihre Töchter »heiraten, Kinder kriegen, allmählich in die Fußstapfen der Eltern treten.« Doch Len streift lieber durch die Natur, liebt die Nähe zum Meer und pflegt mit ihrem Vater verletzte Vögel.
Mit einem Umzug nach London, wo Len in einem renommierten Orchester als Violinistin mitwirkt, wird das Band zur geliebten Natur dünner. In Lens Gedankenwelt entsteht regelrecht ein Tauziehen zwischen der Liebe zur Musik in einer Großstadt und der Liebe zu den Vögeln in der Natur. »An meinem ersten freien Tag gehe ich in den Hyde Park. Es ist weit, aber ich vermisse die Vögel. In meiner Straße stehen nur zwei Ahornbäume.«
In der zweiten Hälfte ihres Lebens – gleichzeitig ist es auch die zweite Hälfte des Romans – überwiegt die Natur und Len zieht in ein kleines, abgelegenes Haus in Südengland. Ein Cottage, »Das Vogelhaus«, in dem die Meisen und Drosseln ein- und ausfliegen. Sie veröffentlicht Bücher über die Vögel, die sie in ihrer Umgebung beobachtet, gilt als Pionierin auf dem Gebiet der Tierforschung. Die Grundlage ihrer Studien ist stets das Vertrauen, welches sie zu den Vögeln aufbaut. Sie erforscht ihren Gesang, ihren Charakter, ihre Eigenarten und Gewohnheiten in der Natur.
»Vögel«, das eigentliche Herzstück des Romans. Jeder einzelne Vogel bekommt einen Namen, wird von ihr gefüttert, gepflegt und – das Wort liegt mir auf der Zunge – sehr geliebt. Len beobachtet, notiert, skizziert, denkt, fühlt, versteht und wird im Laufe der Geschichte von einer stillen Beobachterin zu einem wesentlichen Mitglied dieser tierischen Welt. Die Vögel werden nicht bloß wichtiger als Menschen, sondern Menschen werden beinahe als Exzentriker gezeichnet, als Störenfried der eigenen Welt.
Vielleicht ist die Welt, in der Len lebt, romantisierend, schrill, außerhalb einer Norm, vielleicht sogar ein wenig naiv – aber sie ist, auch wenn ich mich an dieser Stelle wiederhole, vor allem ein Ausflug ins Schöne, ein Ausflug zum Durchatmen, ein Ausflug in eine entschleunigte Faszination. Und genau danach hat sich die Leserin Charlotte Tappmeier in diesen Zeiten gesehnt.