Buchauslese – Teil 17

Um einen Klassiker der amerikanischen Literatur geht’s heute bei unserem Buchtipp. Harper Lees Roman »Wer die Nachtigall stört«, vielen besser bekannt unter dem Originaltitel »To Kill a Mockingbird«, erschien 1960 und ist bis heute aktuell. Christin Harpering empfiehlt Jung und Alt die Lektüre.

»Wer die Nachtigall stört« ist ein Buch voller Weisheit – immer wieder stößt die Leser*in auf Szenen oder Zitate, die sich wie kleine Schatzkammern vor dem inneren Auge öffnen und tief ins Herz hinein strahlen. Der Roman dreht sich um die Familie Finch: Vater Atticus, ein freundlicher Rechtsanwalt, und seine beiden Kinder Jem und Scout leben 1933 in der Kleinstadt Maycomb, Alabama. Die Handlung erstreckt sich über drei Jahre, in denen Atticus die Verteidigung des afro-amerikanischen Landarbeiters Tom Robinson übernimmt, der angeklagt wird, eine weiße junge Frau vergewaltigt zu haben. Der Prozess lässt die Gefühle in der Kleinstadt hochkochen, der Angeklagte muss vor Lynchjustiz geschützt werden und Atticus fällt bei einigen Bewohnern der Stadt in Ungnade. Vor dieser Kulisse wird die kleine Scout groß: Sie sieht mit an, wie Hass und Rassismus eine Gesellschaft teilen können, wie Ungerechtigkeiten auf die Leben mancher Menschen wirken und hört – dem gegenübergestellt – stets die Stimme ihres Vaters, der sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzt. Als Parabel innerhalb des Buches entsteht der Mythos um Boo Radley, der im Nachbarhaus der Familie Finch wohnt, und den die Kinder noch nie zu Gesicht bekommen haben. Über den Unbekannten kursieren allerlei gruselige Erzählungen und die Kinder versuchen alles, um Boo einmal tatsächlich zu sehen. Der Mythos des furchterregenden Nachbarn wird untergraben, indem Jem, Scout und ihr Freund Dill in einem Baum in der Nachbarschaft immer wieder kleine Geschenke finden und Boo Radley als Urheber identifizieren. Behutsam wird die Erkenntnis gesät, dass die vielen negativen Geschichten über den Unbekannten nicht stimmen. Die Kinder erkennen, dass sie ihrem eigenen Gefühl vertrauen müssen anstatt jene negativen Geschichten zu glauben.

Besonders begleitet mich noch immer die Aussage von Atticus, der seinen Kindern empfiehlt, manchmal ihre Perspektive zu wechseln, um die Menschen besser zu verstehen: »Nie versteht man jemanden wirklich, solange man sich nicht in ihn hineinversetzt, dessen Haut überstreift und darin herumspaziert.«

Durch den Perspektivwechsel, den ich als erwachsenen Leserin zur kindlichen Erzählerin Scout erlebe, erscheinen die Weisheiten des Buches, die man auch aus dem eigenen Leben kennt, geradezu einfach zu lösen: Wenn man Ungerechtigkeiten nicht aushalten möchte, muss man etwas dagegen tun. Wichtig dabei ist stets das Verständnis für andere und der Glaube an das Gute im Menschen. Dass der Mensch nicht mit Hass im Herzen geboren wurde, sondern ihn erlernt hat – und dass man das, was man erlernt hat, auch wieder verlernen kann. So bleibt »Wer die Nachtigall stört« für mich immer aktuell und ein äußerst lesenswertes Buch.

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