Auf einer dreimonatigen Reise durch die Länder Asiens hat Charlotte Tappmeier den Roman »Die Einsamkeit der Primzahlen« von Paolo Giordano das erste Mal gelesen. Thailand, Japan, Indonesien, Malaysia, Singapur. So viele neue Eindrücke, Orte, Kulturen und Mahlzeiten – und eine der vielen Geschichten, die während Charlotte Tappmeiers Reise entstanden sind, ist die Geschichte von Mattia und Alice.
»Entscheidungen wurden innerhalb weniger Sekunden getroffen, und in der übrigen Zeit schlug man sich mit den Folgen herum.« – Ein Satz, der Giordanos Roman und damit das Schicksal der beiden Figuren Mattia und Alice einfach – aber dadurch nicht weniger bedeutsam – zusammenfasst.
Mattia verliert mit sechs Jahren seine behinderte Zwillingsschwester, deren Hilfsbedürftigkeit er ein einziges Mal missachtet hatte. Er ließ sie für wenige Stunden allein in einem Park, um auf eine Kindergeburtstagsfeier zu gehen. Doch »schon von Weitem überkam ihn, unerklärbar deutlich, die Gewissheit, dass seine Schwester nicht mehr dort war.«
Alice hingegen erleidet als Kind einen schweren Skiunfall, indem sie sich von der Gruppe löst und in einen starken Nebel gerät. Sie überlebt, aber ihr Bein versteift.
Die Folge der beiden Ereignisse ist – und das unübersehbar – die Einsamkeit! Einsamkeit, die auf so unterschiedliche Art und Weise gelebt und gespürt wird. »Er lehnte die Welt ab, sie fühlte sich von der Welt abgelehnt.« Während Mattia selbstverletzendes Verhalten aufweist, leider Alice an einer schweren Essstörung, für die sie ihren Vater verantwortlich macht, da er es war, der sie als Kind zu dem Skiurlaub überredet hatte.
Und dann wird es (beinahe) romantisch: Mattia und Alice lernen sich Jahre später kennen und können im jeweils anderen die eigene Einsamkeit erkennen. Sie sind sich nah, so unendlich nah. Doch – und das ist nahezu tragisch – stellen die beiden Figuren den Inbegriff einer Primzahl dar: Einsam, misstrauisch und bloß durch 1 und durch sich selbst teilbar. Doch Mattia, der inzwischen Mathematik studiert, hält Alice und sich für mehr als eine einsame Primzahl. Er definiert sie als »Primzahlenzwillinge, allein und verloren, sich nahe, aber doch nicht nahe genug, um sich wirklich berühren zu können.«
(Wahre) Romantik wird immer von ein bisschen Tragik begleitet, aber in Giordanos Roman besteht die Romantik zwischen Mattia und Alice aus dieser Tragik. Zwei Schicksale, die plötzlich aufeinanderstoßen und so viel Verbundenheit verspüren und dennoch nie so richtig zusammengehen. Mit jedem nächsten Seitenaufschlag hofft man auf die Erlösung der Einsamkeit, doch Mattia und Alice bleiben ein Primzahlenzwilling und damit »aussichtlos unverbunden verbunden.«