Schmökern im Corona-Shutdown – Teil 5

Simone Lapperts Roman »Der Sprung« lag noch auf Marlen Dettmers aktuellem Lesestapel. Da von unvorhersehbaren Veränderungen und Aufbrüchen erzählt wird, ist es ihr Buchtipp der Woche mitten im Shutdown.

»Eigentlich springt sie nicht, sie macht einen Schritt ins Leere, setzt den Fuß in die Luft und lässt sich fallen«. Mit diesem fast ersten Satz eröffnet Simone Lappert in ihren Roman »Der Sprung« einen eigenwilligen Spannungsbogen: Man weiß schon auf der ersten Seite, dass Manu – von der ihre Mutter sagt, dass sie einen »Sprung habe« – springt. Aber warum? Warum gerade jetzt diese Wut und Verzweiflung, da sich doch mit ihr für Finn »alles zum Guten veränderte« und sie in ihrem Topfpflanzenasyl optimistisch von ihrer eigenen Gärtnerei mit seltenen Pflanzensorten träumt? Und nun steht sie oben auf dem Dach, schreit, wirft Dachziegel nach unten. Dort steht die Masse: Polizei, Presse, Feuerwehr, Schaulustige.

Dort unten stehen der Polizist Felix, die dickliche Schülerin Winnie, der Hutmacher Egon und noch sieben weitere Personen, deren bisheriges Leben durch die Frau auf dem Dach – um im Bild zu bleiben – einen Sprung bekommt. Diese zehn Lebensgeschichten, jeweils auf wenigen Seiten nur knapp angerissen, sind sie durch Lapperts emphatische, sinnliche und schwungvolle Erzählweise dennoch dicht und lebendig – und offenbaren, dass »so gesamthaft gesehen, das Nichtverrücktsein die eigentliche Anomalie« ist. Da ist zum Beispiel Egon, der sein Herrenkonfektionsgeschäft schließen musste und mit dem Fernglas den Nachfolger beobachtet. Oder der junge Polizist Felix, der wegen eines verschütteten Kindheitstraumas seiner schwangeren Freundin aus dem Weg geht. Und die Schülerin Winnie lässt sich lieber von Wespen stechen, als am Schwimmunterricht teilnehmen zu müssen. Manus Sprung lässt nicht nur sie aus den Routinen ihres Alltags fallen.  

Anfangs liest sich der Roman wie eine Sammlung von Kurzgeschichten und dann tauchen zunehmend Details auf, die Verbindungen zwischen den einzelnen Stories schaffen. Es ist wie eine kleine, spannungsvolle Schatzsuche im Text – man findet immer mehr Querverweise, die einen sorgfältig gebauten Plot peu à peu offenlegen.

Obwohl dieser Roman im Ansatz brutal ist (oben auf dem Dach ein Mensch in tiefer Verzweiflung und unten die zynische Menge »Nun spring doch endlich, du Pussy«) und die Protagonist*innen alle in ihren Leben straucheln, ist es ein positives Buch. »Der Sprung« wendet sich dem Mögenswerten im Menschen zu und lässt den Großmuttersatz von Felix‘ Oma bei Großmutterkakao und Butterkeks realistisch erscheinen:»Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus«. Und sogar für Manu gibt es ein Morgen.

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