Rassismus ist nicht nur ein Problem am rechten Rand der Gesellschaft, sondern gehört für zahlreiche Menschen zum Alltag. Dennenesch Zoudé und Simon Roden lesen Erzählungen von Toni Morrison, Sharon Dodua Otoo und Nana Kwame Adjei-Brenyah und bringen drei sehr unterschiedliche Facetten von Rassismus zu Gehör. Denn es gibt sie schon lange und überall, die vielen Stimmen, die Rassismus – den offensichtlichen und den versteckten – dokumentiert und zu Literatur geformt haben.
Keine andere amerikanische Autorin hat das Thema Rassismus über die Jahrzehnte hin so konsequent und leidenschaftliche beschrieben wie die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. In ihrer Short Story »Sweetness« schildert sie den Schock, den Sweetness bei der Geburt ihres tiefschwarzen Babys empfindet, denn Mutter und Tochter leben in einem Land und in einer Gesellschaft, in der Schattierungen einer Hautfarbe immer noch über die Zukunft eines Kindes entscheiden. Aber Lula Ann sträubt sich gegen den Gehorsam und die Unterwürfigkeit, die ihre Mutter ihr aus Angst vor rassistischen Angriffen beizubringen versucht.
Ein Seufzen, zwei abgeschreckte Eier, das Blubbern des kochenden Wassers: So beginnt Sharon Dodua Otoos Text »Herr Gröttrup setzt sich hin«, für den sie 2016 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Als das wie gewohnt gekochte Frühstücksei überraschenderweise nicht hart, sondern immer noch weich ist, fällt das Ehepaar Gröttrup aus allen Wolken. Was als charmante, unangestrengte Satire über deutschen Alltag und ein renitentes Frühstücksei gelesen werden kann, ist vielmehr ein Versuch der Autorin zu zeigen, welche Auswirkungen Privilegien und weißes Selbstverständnis haben.
Nana Kwame Adjei-Brenyahs gefeierte Stories stilisieren die Mechaniken rassistischen Hasses zu grotesken Dystopien. In »Die Finkelstein Five« kämpft Emmanuel gegen Traumbilder von mit einer Kettensäge enthaupteten schwarzen Kindern, während er in seinen wachen Stunden versucht, seine »Schwarzheit« auf einer Skala von eins bis zehn zu regulieren, um der täglichen Diskriminierung zu entgehen. Nana Kwame Adjei-Brenyah erzählt in schnörkelloser, direkter Sprache und mit grellen Effekten.
Der japanische Kanun-Spieler und Komponist Shingo Masuda umrahmt und akzentuiert die Lesungen. In seinem Spiel vereint der meisterhafte Instrumentalist Kenntnisse der Maqam-Musik aus der arabischen und türkischen Tradition mit Elementen aus anderen Kulturen und sucht den Dialog zwischen Wort und Ton.