Der Roman »Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« von Yade Yasemin Önder wird als eines der spannendsten Debüts des Jahres gefeiert: »Ein furioser Text voller Drastik und Schönheit. […] Was für ein Debüt!« (SWR). Im Rahmen der Reihe »Wörterleuchten« gibt Yade Yasemin Önder im Haus Münsterberg eine gemeinsame Lesung mit dem Schauspieler Hanno Koffler, der von der Autorin ausgewählte Texte liest.
Yade Yasemin Önders Debüt ist ein wilder Roman über den Körper, über Fremdheit und Ankommen, über Identität und Differenz, der durch seine Kühnheit immer wieder verblüfft: schnell und klug und bei aller Düsterkeit irrsinnig komisch. Im Jahr nach Tschernobyl wird die Ich-Erzählerin geboren, irgendwo in der Westdeutschen Provinz, als »Mischling aus meiner Mutter und meinem Vater«, wie es heißt. Doch die intakte Kernfamilie währt nicht lange: Der türkische Vater (so übergewichtig, dass man »fast nichts mit ihm machen kann, was mit Schwerkraft zu tun hat«) stirbt. Alleingelassen ergeben Tochter und Mutter eine toxische Mischung. Der Roman erzählt, wie ein Mädchen hinausfindet aus einer beschädigten Familienaufstellung hinein in eine düster-funkelnde BRD. Er erzählt von einem Großvater mit Loch im Hals, von Sommern in Istanbul, die nach zu heißen Elektrogeräten riechen und nach Anis; von Dingen und Menschen, die auf Nimmerwiedersehen aus dem Fenster fliegen. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich immer wieder verliert und wiederfindet, auseinanderfällt und neu zusammensetzt.
In Yade Önders Roman finden sich lauter Miniaturen, mal märchenhaft, dann wieder hyperrealistisch, Lyrismen folgen auf Dialoge, es gibt Briefauszüge und weitere erzählerische Formen im Wechsel. Die Nähe zu Raymond Queneaus populärem Klassiker »Stilübungen«, in denen der Autor eine Alltagsepisode in über hundert Varianten beschreibt, ist sichtbar und bewusst gewählt. Der Schauspieler Hanno Koffler liest Auszüge aus den »Stilübungen« und aus Texten des französischsprachigen Autors und Malers Henri Michaux, die Yade Yasemin Önder in ihrem Schreiben inspiriert haben. Henri Michaux sah in der Kunst das Tor zu anderen Welten und um es zu öffnen, bediente er sich auch halluzinatorischer Mittel. Auf diese Weise entdeckte er eine teils surrealistische Bildersprache, die er in einem umfangreichen grafischen und literarischen Werk verarbeitete.