»Flucht und Vertreibung« ist eines der zentralen Probleme des 21. Jahrhunderts. Laut UNHCR sind derzeit über 100 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben – unter ihnen auch viele Schriftsteller*innen, die über ihre Vertreibung, ihren Weg und das (Nicht-)Ankommen, über ihre FluchtBegegnungen, schreiben. Die Schauspieler*innen Friederike Becht (Deutscher Fernsehpreis 2022) und Roland Riebeling (»Jütte« Tatort Köln) lesen Texte von geflüchteten Autor*innen, die aus dem Exil heraus schreiben, das Erlebte dokumentieren und zu Literatur formen: Amer Matar »U-Bahn Rakka Berlin«, Anna Seghers »Reise ins Elfte Reich« und Usama Al Shahmani »Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt«.
Die Lesungen werden von dem Duo Samba Sauvage begleitet. Der Sounddesigner Adda Schade lässt gemeinsam mit dem Gitarristen Sebastian Planken ausgehend von den gelesenen Texten Soundteppiche entstehen, die die Flucht-Bewegungen und Flucht-Begegnungen atmosphärisch aufgreifen und akzentuieren. Sie erschaffen eine Symbiose von Musik, Orten und Kulturen, machen die Sehnsucht nach Frieden, nach Freiheit und Neubeginn ebenso hörbar wie Unterdrückung, Gewalt und das Heimweh.
In dem Text »U-Bahnn Rakka-Berlin« des geflohenen syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Amer Matar hat der Ich-Erzähler zwar die Flucht aus Syrien nach Berlin geschafft, gedanklich aber überlagern sich alte Heimat und Zufluchtsort. So schreibt er »im friedlichen Exil […] über nichts anderes als den Tod und die Zubereitung von Menschenfleisch«. Anna Seghers utopische Erzählung »Reise ins Elfte Reich« erschien bereits 1939, als sich die Autorin auf der Flucht aus Nazi-Deutschland im französischen Exil befand, ist aber immer noch aktuell. In der sarkastischen Kurzgeschichte werden u. a. die bürokratischen Hürden der Flucht grotesk überhöht und auf den Kopf gestellt. Usama Al Shahmani, der selbst wegen eines regimekritischen Theaterstücks aus dem Irak in die Schweiz fliehen musste, erzählt in seinem Roman »Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt« von Dafners Flucht aus dem Irak, von der seelischen Zerrissenheit des Geflüchteten, von peinigenden Asylverfahren oder von der Bedeutung der Sprache als Band zwischen Fremde und Heimat.